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7.1 Gleichwertige Lebensverhältnisse in regionaler Vielfalt

Brandenburg ist ein Land mit ausgeprägter regionaler Vielfalt, was auch auf die konkreten Lebensumstände in den einzelnen Landesteilen zutrifft. Die sozioökonomischen Unterschiede sind aufgrund divergierender wirtschaftlicher und demografischer Entwicklungen in den vergangenen Jahren eher noch gewachsen. Dies gilt vor allem im Vergleich zwischen dem Metropolenraum um Berlin und den Regionen im ländlichen Raum. Die Bruchlinien gehen oft direkt durch die Landkreise hindurch. Zudem nehmen kleinräumige Diskrepanzen zu.

 

Mittelzentrale Verantwortungsgemeinschaften mit Leben erfüllen

 

Die gemeinsame Landesentwicklungsplanung Berlin-Brandenburg hat gegen Ende des vergangenen Jahrzehnts mit dem Abschied vom Leitbild der dezentralen Konzentration ein Stück weit vor der Macht des Faktischen kapituliert. Mit dem Wegfall der Grundzentren und der Verringerung der Zentralen Orte auf ein Drittel wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass viele kleinere Städte ohnehin bereits die Tragfähigkeit verloren haben, um wichtige Funktionen der Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten. Durch Kooperation und Koordinierung zwischen den Gemeinden sollten mittelzentrale Verantwortungsgemeinschaften gebildet werden. Es kommt nun darauf an, diese Verantwortungsgemeinschaften mit Leben zu erfüllen. Noch ist nicht absehbar, ob diese neuen Planungsansätze nachhaltige Steuerungseffekte zur Verringerung bestehender Entwicklungsunterschiede bewirken können.

 

Gleichwertige Lebensverhältnisse, wie sie die brandenburgische Landesverfassung im Artikel 44 postuliert, müssen das übergeordnete Ziel der Landesentwicklung bleiben. Trotz großer Diskrepanzen und begrenzter finanzieller Ressourcen haben die Brandenburgerinnen und Brandenburger das Recht auf einen Grundkanon öffentlicher Leistungen, der eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse überall im Land herstellt. Ein flächendeckendes Netz von starken Zentren, die als wirtschaftliche Lokomotiven, öffentliche Dienstleister, kulturelle Mittelpunkte und soziale Versorger für ihre jeweiligen Regionen funktionieren, bleibt für unser Land unverzichtbar. Daseinsvorsorge ist verfassungsmäßiges Recht und nicht Spielball des Marktes.

 

Neue Instrumente der Daseinsvorsorge einführen und verknüpfen

 

Allein mit den herkömmlichen Instrumenten von Landesentwicklungsplanung, Strukturpolitik und Verwaltungsorganisation kann Brandenburg seinem Verfassungsauftrag nicht mehr gerecht werden. Wir brauchen neue Ideen und Strategien, um die regionale Vielfalt als Entwicklungspotenzial zu entfalten. Wir wollen die Daseinsvorsorge flächendeckend, aber regional differenziert organisieren. Zentrale Orte, soziale Ankerpunkte, mobile Dienste und lokale Selbstorganisation müssen zu einem integrierten Netz verknüpft werden. Unterschiedliche Regionen brauchen maßgeschneiderte Konzepte, die auf die jeweiligen Bedingungen abgestimmt sind. Solche Konzepte entstehen am Besten in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs vor Ort.

 

Die regionale Vielfalt ist nicht nur Herausforderung, sondern bietet auch Chancen. Sicher kann nicht jeder Standortvorzug und jede Daseinsvorsorge an jedem Ort in gleichem Maße vorhanden sein. Aber Großstädte und Ballungsräume bieten andere Qualitäten als ländlich geprägte Regionen mit ihren Kleinstädten, Dörfern und naturnahen Siedlungen. Es kommt darauf an, die jeweiligen Stärken vor Ort weiter auszuprägen. So entstehen in der Summe gleichwertige, aber im Einzelnen nicht gleichartige Lebensverhältnisse. Dies entspricht den unterschiedlichen regionalen Ausgangsbedingungen ebenso wie den individuellen Lebensentwürfen, Bedürfnissen und Potenzialen der Menschen in unserem Land.

 

Öffentliche Investitionen auf soziale Infrastruktur in zentralen Orten konzentrieren

 

Nachhaltige Strukturpolitik in dünn besiedelten Regionen bedeutet mehr Investitionen in die Wachstumsbereiche der Daseinsvorsorge. Öffentliche Investitionen für Bildung, Gesundheit und Verkehrsinfrastruktur müssen noch konsequenter auf die regionalen Leistungszentren als Anker in der Region konzentriert werden. Deshalb sind besondere Anstrengungen für die Stabilisierung und Stärkung der Ober- und Mittelzentren in bevölkerungsschwachen Regionen zu unternehmen. Hierzu zählt auch die Verbesserung der Verkehrsverbindungen nach Berlin sowie in die Ballungszentren in den benachbarten Räumen außerhalb von Brandenburg, wie etwa nach Leipzig und Dresden.

 

Die Entwicklung im »Speckgürtel« um Berlin wird ganz maßgeblich von der Dynamik der Metropolregion bestimmt. Hier ballen sich industrielle Kompetenz und technologische Innovation. Hier wird ein großer Teil der Wirtschaftsleistung des Landes Brandenburg erzeugt. Hier wachsen Umland und Hauptstadt zusammen, räumlich wie funktional. Hier sind städtische Lebenskultur und erheblicher Wohlstand zu finden, wie etwa in Potsdam oder Falkensee. Hier gibt es weiträumige suburbane Siedlungen. Hier konzentrieren sich Industrie- und Logistikstandorte. Raum ist knapp, Wohnungen und Gewerbeflächen sind Mangelware. In den Schulen und Kindertagesstätten wird es eng. Eine weitsichtige und der Nachhaltigkeit verpflichtete Politik steht vor der Herausforderung, für neue Kapazitäten an bezahlbarem Wohnraum und sozialer Infrastruktur für alle Einkommensschichten zu sorgen, zugleich aber eine weitere ökologisch kontraproduktive Zersiedlung des Umlands zu verhindern. Dies alles geht nur in enger Kooperation und Abstimmung mit Berlin.

 

Entwicklungspotenziale in Räumen zwischen den Metropolen besser nutzen

 

Das ländliche Brandenburg ist ein Raum, der von der Gravitationskraft und den Wachstumspulsen verschiedenartiger traditioneller und neu heranwachsender Metropolregionen erfasst wird. Neben der zentral gelegenen Metropole Berlin zählen hierzu Hamburg im Nordwesten, die mitteldeutsche Metropolregion um Halle und Leipzig im Süden, der Wachstumsraum um Dresden und Chemnitz im Südosten, Poznań und Wrocław im Südosten und die Region um Szczecin im Nordosten. Die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den benachbarten städtischen und ländlichen Regionen sind schon heute bedeutungsvoll, die Potenziale dieser Entwicklungsachsen werden jedoch bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Handlungsfelder für gemeinsame Strategien und Kooperationsprojekte bieten sich in der Energiewirtschaft, im Kultur- und Naturtourismus, in der Entwicklung von industriellen Kompetenzclustern sowie in Umweltschutz, Wassermanagement und Landschaftspflege an. Vor allem in den Räumen entlang der Landesgrenzen bietet es sich an, die Nachbarn zu Partnern zu machen, um vorhandene Strukturen und Funktionen der Daseinsvorsorge abgestimmt und arbeitsteilig zu entwickeln und zu nutzen. Das ermöglicht mehr Qualität bei effektiverem Mitteleinsatz und ist wegen der oft kürzeren Wege für die Nachbargemeinden auch noch bürgerfreundlicher.

 

Politik soll vor Ort eigenverantwortliche Organisation ermöglichen

 

In immer dünner besiedelten Räumen wird eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse künftig nur noch dann gewährleistet werden können, wenn für die Verwaltung und Versorgung neue Strukturen und kreative Verfahren gefunden werden, die flexibel auf die jeweiligen örtlichen Erfordernisse eingestellt werden können. Dort wollen wir mehr Raum für selbstbestimmte und selbst verantwortete bürgerschaftliche Organisation der Daseinsvorsorge schaffen. Hierfür sind die nötigen rechtlichen und administrativen Voraussetzungen zu schaffen. Es geht nicht um die bestmögliche Verwaltung des Mangels, sondern um die Schaffung von Spielräumen.