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5.1 Armut ist ein gesellschaftlicher Skandal

Auch im 21. Jahrhundert gibt es gute Gründe, die soziale Frage auf die politische Tagesordnung zu setzen, und zwar ganz nach oben. Trotz abnehmender Arbeitslosigkeit hat sich das Armutsrisiko in Brandenburg erhöht. Zwischen 2000 und 2012 ist die Armutsquote im Land um mehr als ein Fünftel gestiegen. Hierfür gibt es viele Gründe. Der am meisten skandalöse besteht darin, dass Arbeit per se nicht mehr vor Armut schützt, was in beiden deutschen Staaten bis 1990 zu den großen sozialen Errungenschaften zählte. Der Druck auf die Erwerbseinkommen hat durch prekäre Erwerbsverhältnisse, wie Leih- und Zeitarbeit, geringfügige Beschäftigung oder Scheinselbständigkeit stetig zugenommen. Die Hartz-Gesetze mit dem Zwang, jede Arbeit anzunehmen, haben maßgeblich zur Ausbreitung des Niedriglohnsektors beigetragen. Einem besonders hohen Armutsrisiko unterliegen zudem Menschen mit Behinderungen, deren Nachteilsausgleiche nach wie vor nicht einkommens- und vermögensunabhängig finanziert werden.

 

Ein besonderer Skandal ist die verbreitete Kinderarmut. In Brandenburg gilt jedes vierte Kind im Alter von unter 3 Jahren und jedes fünfte Kind zwischen 4 und 15 Jahren als arm. Aber auch die Altersarmut wird zu einem wachsenden Problem. Die Entspannung auf dem Arbeitsmarkt, die wir in den letzten Jahren erlebten, ist weniger auf Agendapolitik und Hartz-Gesetze zurückzuführen, sondern wurde ganz wesentlich vom demografischen Wandel verursacht. Geburtenstarke Nachkriegsjahrgänge rücken in Rentenalter, extrem geburtenschwache Jahrgänge wachsen nach. Unter den neuen Rentnerinnen und Rentern in Brandenburg befinden sich viele, die zur Mitte ihres Arbeitslebens von den wirtschaftlichen Umbrüchen und der Massenarbeitslosigkeit der 1990er Jahre erfasst wurden, gebrochene Erwerbsbiografien vorweisen und mit sehr niedrigen Altersrenten klarkommen müssen.

Gegen Armut auch Hilfe zur Selbsthilfe organisieren

 

Armut hat heutzutage viele Gesichter. Daher braucht es auch vielfältige Strategien, um dieser Geisel wirkungsvoll begegnen zu können. Langzeitarbeitslose und arbeitslose Jugendliche ohne Berufserfahrung brauchen vor allem einen sozialen und fachlichen Kompetenzzuwachs und die Befähigung zur Selbstorganisation, um wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Ein weiterer Handlungsschwerpunkt ist der Ausgleich geschlechtsspezifischer und behinderungsbedingter Ungleichbehandlung. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Aktivierung von jungen Erwerbsfähigen mit Migrationhintergrund, Menschen mit Behinderungen sowie jungen Müttern (insbesondere Alleinerziehenden) für einen Ausbildungsabschluss bzw. die Aufnahme einer Berufstätigkeit.

Mehr kostenfreie Angebote für Kinder bereit stellen

 

Ein gutes Mittel gegen die Folgen von Kinderarmut sind kostenfreie und unkomplizierte Teilhabeangebote in den Bereichen Sport, Freizeit und Bildung, die von den Kindern selbständig wahrgenommen werden können. Dies gilt auch für das Schulessen oder Klassenfahrten sowie organisierte Kino- oder Theaterbesuche. Zugleich bleibt die Forderung nach einer bundesweiten Regelung für eine armutsfeste Grundsicherung für Kinder auf der Tagesordnung.

 

Immer wichtiger wird die Unterstützung für Familien, die in dauerhafte Armut geraten sind und aus eigener Kraft den Alltag nicht mehr bewältigen. Hilfethemen sind der geregelte Tagesablauf, Haushaltsführung, Ernährung, Gesundheit und nicht zuletzt die Finanzen. Ein Instrument, das den Bedürfnissen aller Menschen in Armut gerecht wird, sind »Sozialtickets«, die sich über ein breites Spektrum an Bildungs-, Kultur-, Freizeit- und Mobilitätsangeboten für Einkommensschwache erstrecken.

Initiative für Reaktivierung der Sozialen Stadt stärken

 

Um mit Armut und ihren sozialen Folgen fertig werden zu können, brauchen wir in Brandenburg ein integriertes Netz von Gemeinwesenakteuren, Bildungsträgern, Wohlfahrtsverbänden, Selbsthilfegruppen und Bürgerinitiativen. Entscheidend ist eine dauerhaft verlässliche Finanzierung und Personalausstattung der Sozialarbeit. Mit kurzatmigen Projekten und dauerhaft wechselnden Bezugspersonen sind soziale Probleme nicht zu lösen. Die Mittel des Europäischen Sozialfonds müssen stärker auf nachhaltige Effekte ausgerichtet werden. Da sich soziale Konflikte in den Städten ballen, sollte sich Brandenburg im Bund energisch für die Wiederbelebung der Sozialen Stadt einsetzen.