2. Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaftsstruktur
Die Wirtschaft im Land Brandenburg hat in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten tief greifende Umbrüche durchlebt: den ordnungspolitischen Wechsel, die Treuhandprivatisierung, die Zerschlagung der Großstrukturen, die Konfrontation der verbliebenen Einzelbetriebe mit den marktbeherrschenden Konzernen in EU-Europa, das Wegbrechen der traditionellen Märkte im Osten. All dies war mit enormen Arbeitsplatzverlusten verbunden, die zu andauernd hoher Unterbeschäftigung führte.
Neue Wirtschaftsstruktur bildet sich heraus
In einem schmerzhaften Anpassungs- und Modernisierungsprozess haben sich die Konturen einer neuen Wirtschaftsstruktur herausgebildet. Der Ring um Berlin hat zweifellos von der Wirtschaftskraft und den Standortvorzügen der Bundeshauptstadt profitiert. Dem gegenüber haben viele klassische Industriestädte wie Luckenwalde oder Forst noch immer mit den Folgen der De-Industrialisierung zu kämpfen. Dies gilt auch für einige Industriestandorte, die zur DDR-Zeit aufgebaut wurden, wie etwa Brandenburg oder Premnitz. In keinem ostdeutschen Land liegen Wirtschaftskraft und Beschäftigung regional so weit auseinander, wie in Brandenburg. Der Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruktur und eines zukunftsfähigen Dienstleistungssektors steht auf halbem Wege. Noch ist ein wirklich stabiler und nachhaltiger Entwicklungspfad nicht gesichert. Das Wirtschaftswachstum stagniert.
Förderinstrumente den sektoralen und regionalen Bedingungen anpassen – und nicht umgekehrt!
Das Land Brandenburg braucht einen integrativen ressortübergreifenden Politikansatz für die Verzahnung von Wirtschaftspolitik, Infrastrukturpolitik, ländlicher Entwicklung und Arbeitsmarktpolitik, um die Standortvoraussetzungen und Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu sichern. Erste Pflicht ist eine wirksame Substanzpflege der bestehenden – oft kleinteiligen und noch eigenkapitalschwachen – Unternehmensstruktur. Um die Wirtschaft Brandenburgs zukunftsfähig zu machen, müssen die vorhandenen Entwicklungspotenziale entschlossener aktiviert werden, indem innovative Branchen, tragfähige Netzwerke und grenzüberschreitende Kooperation wirksam gefördert werden. Neue Chancen werden vor allem in neuen Industrien entstehen. Die Förderinstrumente sind den sektoralen und regionalen Bedingungen anzupassen – und nicht umgekehrt.
Industrielle Kerne stärken
Der vergleichende Blick über die deutsche Landkarte macht deutlich, wie wichtig leistungsfähige industrielle Kerne für die wirtschaftliche Entwicklung nach wie vor sind. Auch in der Dienstleistungs- und Kommunikationsgesellschaft findet man kaum einen florierenden Wirtschaftsstandort, der sich nicht auf industrielle Kerne stützt, von denen vielfältige Wachstumsimpulse für Dienstleistungen, Forschung und Entwicklung ausgehen. Davon lebt eine Großzahl kleiner und mittlerer Unternehmen:
In Brandenburg haben sich einige leistungsstarke industrielle Kerne etablieren können. Hierzu zählen die Erdölverarbeitung in Schwedt, der Stahlproduzent in Eisenhüttenstadt, der Chemiestandort Schwarzheide oder die Nutzfahrzeugherstellung in Ludwigsfelde sowie, als eine der größeren Neuansiedlungen, die Luft- und Raumfahrtindustrie in Dahlewitz.
Stärkung industrieller Kerne bleibt Schwerpunkt
In den vergangenen Jahren ist die Landesregierung mit einigen industriellen Großprojekten spektakulär gescheitert. Dennoch kann mit wirklich kompetenter Industriepolitik einiges erreicht werden, wie Sachsen oder Thüringen zeigen. Die Stärkung industrieller Kerne sollte in Brandenburg wirtschaftspolitische Priorität bleiben.
Wachstumsbranchen und Netzwerke fördern
In einigen Branchen verfügt die Wirtschaft in Brandenburg über herausragende Kompetenzen und Zukunftschancen. Diese Branchen bzw. Standorte können zu leistungsstarken Motoren für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung werden. Die Auswahl von Branchenkompetenzfeldern durch die Landesregierung erlaubt keine wirkliche Konzentration öffentlicher Förderanstrengungen. Die Entwicklung von Zukunftsbranchen und die Landesentwicklungsplanung wurden faktisch vermischt, was eine unentschiedene Strategie zur Folge hatte.
International bedeutsame Branchen unterstützen
Brandenburg braucht in der Tat eine Schwerpunktsetzung bei der Förderung von Zukunftsbranchen. Es reicht aber nicht, bestehende Strukturen als Zukunftsbranchen fortzuschreiben. Die Zukunftsbranchen sollten unabhängig von der räumlichen Verortung und der regionalen Balance strikt nach ihren Innovationspotenzialen und Entwicklungschancen bestimmt werden. Förderung von Zukunftsbranchen darf nicht mit Regionalentwicklung verwechselt werden.
Im Grundsatz muss gelten, dass Entwicklung dort unterstützt wird, wo sie sich vollzieht. Vor dem Hintergrund des tatsächlichen Leistungsspektrums der Region Brandenburg-Berlin sind international herausragende Branchen und Netzwerke besonders zu unterstützen. Dazu zählen z.B. Biotechnologie, Luft- und Raumfahrt, Medien, Gesundheitswirtschaft, Energie. Dabei geht es nicht nur um die Höhe der Förderung, sondern auch um ordnungspolitische Rahmensetzungen, die u.a. die Netzwerkbildung und den Marktzugang unterstützen. Davon zu unterscheiden sind Branchen, die für die Regionalentwicklung und Wertschöpfung vor allem in ländlichen Regionen von herausgehobener Bedeutung sind. Dazu zählen die Agrar-, Forst- und Tourismuswirtschaft. Diese sind durch einen institutionell übergreifenden Ansatz finanziell und ordnungspolitisch zu unterstützen.
Mittelständler und Handwerker durch Entbürokratisierung und Zugang zum Kapitalmark helfen
Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), Handwerk und freie Berufe sind mit Abstand die Hauptträger der Beschäftigung in Brandenburg. Die Förderung dieser Unternehmen ist wirtschaftspolitische Daueraufgabe. Entsprechend sollten auch die Fördertatbestände fortwährend auf veränderte Bedingungen eingestellt werden. Die Eigenkapitalsituation der KMU wie auch der Agrarwirtschaft sollte unbedingt verbessert werden, wozu auch eine Reform des Steuerrechts beitragen kann. Durch Vernetzung mit öffentlichen Forschungskapazitäten sollten die KMU zudem bei der technologischen Innovation wirkungsvoller unterstützt werden. Zudem würden die KMU enorm profitieren, wenn eine durchgreifende Entbürokratisierung der gewerbebezogenen Verfahren in der öffentlichen Verwaltung gelingt. Das kostet kein Geld, kann aber Blockaden lösen.
Benachteiligte Wirtschaftsregionen nicht abschreiben
Die Förderung von Zukunftsbranchen kann eine Landesentwicklungsplanung, die Impulse für alle Regionen setzt und krasse Disparitäten verhindert, nicht ersetzen. Jede Region hat ein Recht darauf, bei der Aktivierung ihrer Potenziale und Überwindung ihrer Schwächen vom Land unterstützt zu werden. Dies gilt vor allem für die technische und soziale Infrastruktur, also die „harten“ und „weichen“ Komponenten im Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte.
Neue Wachstums- und Beschäftigungspotenziale im Dienstleistungssektor
Erhebliche neue Wachstums- und Beschäftigungspotenziale bietet der Dienstleistungssektor. Handel, Service, Betreuung, Gesundheit und Pflege sind Bereiche, die in den Ballungszentren ebenso wie in ländlichen Gebieten wohnortnah nachgefragt werden. Für Wachstumsbereiche wie die Gesundheitsprävention und Rehabilitation, Tourismus, Ernährungs- und Forstwirtschaft bieten ländliche Regionen attraktive Entwicklungsmöglichkeiten.
Regionale Wirtschaft beim Flughafen-Bau maximal einbeziehen
Der Flughafen Berlin-Brandenburg International wird für die nächsten Jahre die größte öffentliche Investition in der Region sein, deren Wirtschaftlichkeit natürlich sicherzustellen ist. Brandenburger Politik muss sich dafür einsetzen, dass die regionale Wirtschaft maximal in das Entwicklungsvorhaben einbezogen wird, damit der BBI die versprochene Wirkung als wirtschaftlicher Impuls für das Land auch wirklich erzielt. Zugleich sind die Interessen der betroffenen Bevölkerung, insbesondere durch Lärmschutz, Nachtflugverbot und Entschädigungsregelungen, zu schützen.
Wirtschaftliche Perspektiven für ländliche Räume
Produktive Agrarbetriebe als Motoren der regionalen Entwicklung
Im ländlichen Raum geht es darum, regionale Produktionsprozesse zu entwickeln, die neue Wirtschafts- und Lebensweisen gewährleisten. Die bestehenden hochproduktiven Agrarbetriebe können als Motoren der regionalen Entwicklung mit dem Aufbau einer regenerativen Energie- und Rohstoffwirtschaft in diesen Räumen verbunden werden.
Erneuerbare Energie und nachwachsende Rohstoffe, die einen hohen regionalen Verarbeitungsgrad haben, sind deshalb fester Bestandteil künftiger Entwicklung im ländlichen Raum Brandenburgs. Das kann durch Konzepte der Energieautonomie von märkischen Städten und Gemeinden gefördert werden. In strukturschwachen Räumen soll die Förderung regionaler Zentren mit den Aufgaben der Landesentwicklung und Daseinsvorsorge künftig auch stärkere wirtschaftliche Impulse setzen.
Spitzenreiter im ökologischen Anbau
Im ökologischen Landbau ist Brandenburg weit vorn. Auch zukünftig muss diese Produktionsweise, die einen erheblichen Beitrag zum Natur- und Grundwasserschutz sowie für die Gesunderhaltung der Bevölkerung leistet, eine Erweiterungschance haben. Das geht aber nur, wenn die Gefährdung durch Gentechnik ausgeschlossen ist und die allgemeine Nachfrage nach Bioprodukten weiter steigt. Entscheidend für das Kaufverhalten wird neben dem Verbraucherbewusstsein die Einkommensentwicklung sein. In erster Linie sind deshalb Marketingstrategien zur Nachfrageerhöhung und bessere Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen gefragt. Die Metropole Berlin ist ein riesiger Markt für hochwertige Bioprodukte, der noch besser erschlossen werden kann.
Die Nachteiligkeit der durch Kleinbesitz und hohe Eigentümerzahl gekennzeichneten Waldbesitzstruktur wird durch forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse überwunden. Dadurch können ungenutzte Holzreserven mobilisiert werden. Dieses ermöglicht die weitere Entwicklung der Holzindustrie, dient als umweltfreundliches Brenn- und Baumaterial und sichert somit Wertschöpfung und Arbeitsplätze im ländlichen Raum.
Dörfer entwickeln sich zu touristischen Zentren
Der ländliche Tourismus ist eine weitere Entwicklungschance für den ländlichen Raum Brandenburgs. Dörfer entwickeln sich zu touristischen Zentren mit Hotels, Pferdesport, Bauernmarkt, Lebensmittelproduktion und Erlebnisplätzen. Erweiterungen in Richtung Gesundheitstourismus bedeuten zusätzliches Wachstum. Dazu kommen Projekte lokaler und regionaler Initiativen, die alte Gewerbe wieder beleben und Zeugnisse ländlicher Agrar- und Industriekultur wieder erlebbar machen.