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5. Den demografischen Wandel gestalten

Problematisch ist nicht der Einwohnerschwund…

Seitdem die Welle der Suburbanisierung aus Berlin zu Beginn dieses Jahrzehnts verebbt ist, sinken in Brandenburg die Einwohnerzahlen. Im Jahr 2005 zählte das Land knapp 2,6 Mio. Einwohner. Im Jahr 2030 werden es nach den jüngsten Prognosen noch 2,2 Mio. Menschen sein, die hier leben.

…sondern Geschwindigkeit, räumlichen Disparitäten und sozialer Wandel der demografischen Entwicklung

Verursacht wird diese Entwicklung durch sinkende Geburtenzahlen und den Mangel an Erwerbsmöglichkeiten, der gerade die Jüngeren dazu bewegt, ihr Glück anderswo zu suchen.

Problematisch ist nicht der Einwohnerschwund an sich. Das Phänomen ist weltweit in vielen entwickelten Gesellschaften zu beobachten. Problematisch ist die Geschwindigkeit dieser Entwicklung. Problematisch sind die räumlichen Disparitäten und die altersstrukturellen Verschiebungen. Problematisch ist vor allem der damit einhergehende soziale Wandel mit seinen weitreichenden Konsequenzen für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und die Anforderungen an die Politik.

Räumliche Disparitäten ausgleichen

Während die Einwohnerzahl im „engeren Verflechtungsraum“ um Berlin in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich stabil bleibt, werden die Gemeinden im „äußeren Entwicklungsraum“ weiterhin rapide Einwohnerverluste erleiden. Bereits in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hatten die Einwohnerverluste in vielen Städten eine Größenordnung von 20 Prozent und mehr angenommen, was statistisch oftmals nur durch großzügige Eingemeindungen überdeckt wurde.

Dramatisch wird die Situation in den großen ländlich geprägten und immer dünner besiedelten Regionen. Schon heute sind existentielle Versorgungsleistungen wie Einkaufsladen, Kindergarten, Schule, Arzt und Apotheke nicht mehr flächendeckend am Wohnort gesichert. Die Maschen im räumlichen Versorgungsnetz werden größer.

Zentrale Orte in den Regionen stärken

Ein Ausweg ist, die zentralen Orte in den Regionen zu stärken und darüber hinaus eine maßgeschneiderte Verteilung von sozialer Infrastruktur, Versorgung und Dienstleistungen nach Maßgabe der vorhandenen Kapazitäten. Wir wollen und dürfen diese Kapazitäten der Orte in einer Region – hier das neue Krankenhaus, dort das sanierte Oberstufenzentrum – nicht gegeneinander ausspielen. Sie müssen für den gemeinsamen Einzugsbereich genutzt werden. Voraussetzung dafür ist ein Verkehrssystem, dass allen Nutzern den Zugang zu den zentralisierten Leistungen in einem vertretbaren Zeitaufwand ermöglicht. Dazu gehören Bahnangebote in der Fläche, eine DB AG im öffentlichen Eigentum, ein starker bedarfsorientierter öffentlicher Personennahverkehr mit Bussen und Bahnen einschließlich Alternativangeboten und ein sicherer Schülerverkehr. Die Verkehrsleistungen gehören zur Daseinsvorsorge und sind damit eine öffentliche Aufgabe.

Öffentlichen Leistungen über mobilen Service und digitale Medien zu den
Bürgern bringen

Ein innovativer Ansatz besteht darin, die erforderlichen öffentlichen Leistungen über mobilen Service und digitale Medien direkt zu den Bürgerinnen und Bürgern zu bringen. Im Bereich von Gesundheit und Pflege können mobile Dienste wieder ein sehr engmaschiges Versorgungsnetz herstellen. In der Kinderbetreuung und Grundschulbildung muss es mehr Raum für unkonventionelle Formen geben. Verwaltungsvorgänge können noch konsequenter über die digitalen Medien abgewickelt werden, also direkt von zu Hause ins Amt und zurück. Aber auch in diesem Bereich werden mobile Dienste nötig werden, speziell angesichts der wachsenden Zahl älterer bzw. sehr alter Menschen. Voraussetzung für den Erfolg all dieser Ansätze ist, dass die Akteure vor Ort die Handlungsfreiheit bekommen, mit ihren eigenen Stärken die eigenen Probleme zu lösen.

Anforderungen einer alternden Gesellschaft

Wohnungs- und Städtebau müssen stärker auf die Lebensumstände von Senioren ausgerichtet werden

Die Menschen in Brandenburg werden zwar weniger, aber immer älter. Im Jahr 1990 hatte die Altersgruppe über 65 Jahre einen Anteil an der Gesamtbevölkerung von 12 Prozent. Heute sind es 17 Prozent und im Jahr 2020 werden es bereits 25 Prozent sein. Dabei geht es nicht nur um relative Verschiebungen. Mit dem Vorrücken der starken Nachkriegsgeneration ins Rentenalter wird auch die absolute Zahl der älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger wachsen.

Unsere Gesellschaft muss sich darauf einstellen, dass die Bedürfnisse und Probleme älterer Menschen einen höheren Stellenwert erhalten, um ein Altern in Würde zu sichern. Das gilt auch für die Bestimmung politischer Prioritäten. Ein Handlungsschwerpunkt muss sein, den Wohnungs- und Städtebau stärker auf die Lebensumstände von Senioren auszurichten. Das reicht vom altengerechten Wohnen bis zur barrierefreien Stadt. Senioren wollen mobil bleiben. Der öffentliche Personennahverkehr muss auf diesen Mobilitätsbedarf eingerichtet sein. Das Netz von Pflege– und Betreuungseinrichtungen für Ältere ist auszubauen.

Neue Formen sinnstiftender Tätigkeit für ältere Menschen

Ältere Menschen wollen vor allem in der Gesellschaft integriert bleiben. Senioreneinrichtungen mit breiten Angeboten für soziale Kontakte sind notwendig, aber nicht hinreichend. Für die immer länger werdende Zeit nach dem Ende der regulären Erwerbstätigkeit müssen neue Formen sinnstiftender und gesellschaftlich anerkannter Tätigkeit gefunden werden, was zu einem erfüllten Leben dazugehört. Das Engagement Älterer für gemeinnützige Zwecke sollte gezielter gefördert werden, vor allem durch Investitionen in geeignete Projekte und Organisationsformen.

Demografische Balance und soziales Gleichgewicht

Demografischer Wandel ist kein Zahlenspiel…

Nachhaltige Entwicklung braucht eine demographische Balance von alt und jung, Innovation und Tradition, Risiko und Sicherheit, Spontanität und Erfahrung. Der demographische Wandel ist kein Zahlenspiel, sondern hat tief greifende soziale Konsequenzen. Die Generation des „Wendeknicks“ ist in Brandenburg nur noch halb so stark wie ihre Elterngeneration.

…sondern hat soziale Konsequenzen

Wenn sie in den kommenden Jahren in das Alter kommt, wo Familien gegründet und Kinder geboren werden, wird es noch weit weniger Geburten geben, als bislang. Kinder werden dann zu einer Randgruppe in der Gesellschaft, Familien zu einer von vielen wählbaren sozialen Existenzformen. Ihre Belange und Interessen werden es immer schwerer haben, sich durchzusetzen.

Generationen nicht gegeneinander ausspielen

Parallel dazu basieren unsere sozialen Sicherungssysteme und speziell die Altersversorgung auf einem Generationenvertrag. Die gesetzlichen Altersrenten entstehen nicht durch Ansparen, sondern werden durch die Beiträge der Erwerbsgeneration finanziert. Heute finanzieren noch fünf Beitragszahler eine Rente, im Jahr 2050 wären es nach dem heutigen Trend nur noch zwei. Ohne Systemveränderungen wird die Altersversorgung nicht zukunftsfähig sein. Jedoch dürfen die Generationen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Eine Privatisierung jedoch, welche die Altersversorgung zum Spielball der internationalen Finanzmärkte werden lässt, wird nach den Erfahrungen aus anderen Ländern der Altersarmut Tür und Tor öffnen. Wir brauchen auch künftig die solidarische Altersversorgung, die auf Generationengerechtigkeit basiert. Dies schließt auch die Interessen der nachwachsenden Generation ein, die über das Umlageverfahren die soziale Sicherheit der Rentner von heute auf recht hohem Niveau mitfinanziert und deshalb ebenfalls einen Anspruch auf ein gutes Auskommen im Alter hat. Wir wollen mehr Solidarität und Gerechtigkeit durch die Ausweitung des Versichertenkreises auf alle Erwerbstätigen.

Einwanderung: Herausforderung und Chance

Brandenburg war immer ein Land für Einwanderer

Brandenburg hat im Laufe seiner Geschichte mehrfach von wirtschaftlichen und kulturellen Impulsen durch Einwanderer profitiert. Zu absolutistischen Zeiten wurde mit großem Aufwand um ausländische Fachleute geworben, um das Land zu besiedeln und zu kultivieren - seien es Glaubensbrüder oder Andersgläubige.

Brandenburg braucht wieder Einwanderung!

Heute stehen wir vor ähnlichen Herausforderungen. In vielen Landstrichen verschwindet die Jugend. In den Zentren fehlen die Fachkräfte. Der Bevölkerungsverlust ist bei weitem nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern höhlt die Vitalität und Zukunftsfähigkeit mancher Städte und Gemeinden aus. Angesichts hoher Arbeitslosigkeit wird Zuwanderung heute jedoch vielerorts als zusätzliche Belastung gesehen. Mit der bevorstehenden Arbeitnehmerfreizügigkeit für unsere östlichen Nachbarn besteht die Gefahr, dass diese Sicht noch stärker Raum greift. Die Realität sieht anders aus: Die oft zitierten polnischen Arbeitskräfte sind nicht in Beelitz zum Spargelstechen, sondern in Birmingham und Dublin an Werkbänken und Schreibtischen. Dabei hat Brandenburg Einwanderung nötig.

Wir brauchen eine Politik, die Zuwanderung wirklich als Chance begreift und verantwortlich gestaltet. Es geht gleichermaßen darum, die Integration mit transparenten Zielstellungen und wirksamen Programmen zu fördern wie auch klare Maßstäbe für die Integrationsleistungen der Zuwanderer aufzustellen und durchzusetzen. Dazu gehört auch eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Es muss verhindert werden, dass einheimische und ausländische Arbeitssuchende gegeneinander ausgespielt werden.

Strategien für eine kinderfreundliche Gesellschaft

Unsere Gesellschaft muss kinderfreundlicher werden. Zunächst muss die Politik ihre Hausaufgaben machen. Auf der Tagesordnung steht, den uneingeschränkten Rechtsanspruch auf Kindertagesstättenbetreuung ganztägig und gebührenfrei zu gestalten. Wir brauchen zudem eine deutlich verbesserte Bildung in Kita und Schule, die durch individuelle Förderung wirkliche Chancengleichheit schafft - unabhängig von der sozialen Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit.

Familie und Erwerbsarbeit müssen wieder vereinbar werden

Das allein reicht aber nicht. Entscheidend ist, dass Familie und Erwerbsarbeit wieder vereinbar werden. Der räumlich und zeitlich unbegrenzt flexible Arbeitnehmer nach dem neoliberalen Leitbild ist nicht kompatibel mit einem verantwortungsvollen, gleichberechtigten und ausgefüllten Familienleben. Das gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Es ist die verlässliche Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben, die den Kinderwunsch realisierbar macht. Für die materielle und rechtliche Absicherung dieser Vereinbarkeit kann der Staat erheblich mehr tun. Entscheidend ist jedoch ein Wandel der gesellschaftlichen Leitbilder.

Neben den öffentlichen Dienstleistungen für Kinder und Familien kommt es darauf an, die Rahmenbedingungen für das gemeinnützige private Engagement zu verbessern, wie etwa beim Mehrgenerationenwohnen und anderen Formen der generationsübergreifenden gegenseitigen Hilfe.

Notwendig ist darüber hinaus eine Stärkung der kinderbezogenen Anreize in den Steuer- und Sozialsystemen. Familie ist dort, wo Kinder aufwachsen. Bürgerliche Zugewinngemeinschaften müssen nicht staatlich gefördert werden.