II. Unsre Heimat. Woher kommen wir?
Wechselvolle Geschichte von Aufstieg und Niedergang, Fortschritt und Reaktion
Seit mehr als acht Jahrhunderten sind die Geschicke Brandenburgs eng mit den deutschen und europäischen Geschehnissen verwoben. Mit der Gründung der „Mark Brandenburg“ auf slawischem Boden im Jahre 1157 begann eine wechselvolle Geschichte von Aufstieg und Niedergang, Fortschritt und Reaktion. Eine Geschichte, die auch nicht frei von verhängnisvollen Entwicklungen war.
Menschen und Ideen haben die Entwicklung in widerspruchsvoller Weise geprägt
Das alte Brandenburg erschöpft sich nicht in preußischem Militarismus und borniertem Junkertum, Untertanengeist und Provinzialität. Zur historischen Bilanz gehören ebenso Verwaltungsreform und Rechtssicherheit, Disziplin in den Staatsfinanzen, frühe Anstrengungen zur allgemeinen Volksbildung, zielstrebige Industriepolitik, öffentliche Förderung von Wissenschaft und Künsten. Die Geschichte des Landes wurde – in oft widerspruchsvoller Weise – von Machtpolitikern wie Friedrich II. oder Bismarck, Militärs wie Scharnhorst, Moltke oder Clausewitz, Denkern wie Kant und Hegel, Wissenschaftlern wie die Brüder von Humboldt, Virchow oder Mommsen, Erfindern und Ingenieuren wie Lilienthal, Thaer und Siemens, Schriftstellern und Dichtern wie Fontane oder die von Arnims geprägt.
Brandenburg ist seit je her ein karges und rohstoffarmes Land, dessen Wirtschaft und Wohlfahrt von der Tatkraft, den Ideen und dem Unternehmensgeist der Menschen in diesem Land getragen wurde.
Unser zwiespältiges politisches Erbe
Zentralismus und Militarisierung versus Toleranz und Bürgersinn
Dem zentralistischen Herrschaftsanspruch des brandenburgischen und später preußischen Staates standen von Beginn an politische Akteure gegenüber, die für Selbstverwaltung und Mitgestaltung kämpften. Einerseits die Städteordnungen mit ihren weitgehenden Rechten zur kommunalen Selbstverwaltung, andererseits die friderizianische Neigung zur Selbstherrschaft. Einerseits der Ansatz für eine moderne Staatlichkeit in den Stein´schen Reformen von 1808, andererseits langwierige politische Erstarrung nach dem Sieg über Napoleon. Einerseits das Engagement für Wissenschaft und Künste, sei es bei der Gründung der Viadrina in Frankfurt an der Oder im Jahre 1506 oder bei der Geburt der Berliner Universität im frühen 19. Jahrhundert. Andererseits die Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens im ganzen Land.
Brandenburg übte Toleranz und öffnete sich Fremden und Glaubensflüchtlingen. Aber Brandenburg und später Preußen waren kriegerische Staaten, die sich durch nackte militärische Gewalt vergrößerten. Liberale aus brandenburgischen Städten standen 1848 für die Republik auf den Barrikaden und wurden von Landeskindern in preußischer Uniform er-schossen. Eine anwachsende Arbeiterschaft, die im Zuge der Industrialisierung während des 19. Jahrhunderts entstand, kämpfte zunehmend selbstbewusst für ihre Rechte. Ihre politischen Interessenvertretungen sahen sich den Bismarckschen Sozialistengesetzen und vielfältigen anderen politischen wie gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt.
Brandenburg wurde Brennpunkt sozialer und politischer Kämpfe
Im vergangenen Jahrhundert war dieses Land ein Brennpunkt der sozialen und politischen Konflikte, die Deutschland erschütterten. Potsdam war die Residenzstadt der Hohenzollern, aber in dieser Stadt wurde Karl Liebknecht in den Deutschen Reichstag gewählt, der dort 1914 gegen die Kriegskredite stimmte. Dem verhängnisvollen „Tag von Potsdam“ im Jahre 1933, der Hitler den Weg an die Macht ebnete, stand in den folgenden 12 Jahren der Widerstand von brandenburgischen Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, Bürgern und Adligen ge-gen die Nazi-Diktatur gegenüber.
Kurzlebige Neugründung der Mark nach dem Krieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen auch in Brandenburg die Menschen mit dem Aufräumen der materiellen und geistigen Trümmer, die Nationalsozialismus und Militarismus hinterlassen hatten. Das Land erlebte seine Wiederauferstehung als – nunmehr territorial verkleinerte - „Mark Brandenburg“ in der 1949 gegründeten DDR.
Industrialisierung und Kollektivierung prägten die Nachkriegsgeschichte
In der DDR wurde ein staatssozialistisches System sowjetischer Prägung etabliert, das im Jahre 1952 mit der Tradition der selbständigen Länder brach. Das Land Brandenburg wurde in die Bezirke Potsdam, Cottbus und Frankfurt aufgeteilt. Während der folgenden Jahrzehnte vollzog sich hier ein massiver Industrialisierungsprozess. Das Niederlausitzer Industriegebiet, die Petrolchemie in Schwedt, die LKW-Produktion in Ludwigsfelde und das Stahlwerk in Brandenburg an der Havel gehörten zu den größten Industrialisierungsvorhaben. Auf dem Lande wurde junkerlicher Großgrundbesitz enteignet. Die neuen Eigentümer bewirtschafteten ihr Land allerdings nur wenige Jahre lang individuell. Mit der nicht selten rabiat durchgesetzten „Kollektivierung“ entstanden landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, die von nun an als moderne Agrarbetriebe das ländliche Leben wirtschaftlich und sozial prägten.
Mit Recht stolz auf die Er-folge des Wiederaufbaus
Viele Menschen der Aufbaugeneration sind mit Recht stolz auf die Ergebnisse ihrer Arbeit. Große und schwierige Industrieprojekte konnten bewältigt werden. Der Wohlstand wuchs. Es herrschte Vollbeschäftigung und es gab keine gravierenden sozialen Unterschiede. Kinderbetreuung, Bildung und Gesundheitsversorgung wurden flächendeckend gesichert. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau machte sichtbare Fortschritte.
Konstruktionsfehler des Realsozialismus war der undemokratische Charakter
Diese Entwicklungen vollzogen sich nicht im luftleeren Raum, sondern unter den Bedingungen des Kalten Kriegs, was Gestaltungsspielräume einschränkte und Deformationen verstärkte. Der letztlich tödliche Konstruktionsfehler des Realsozialismus war jedoch sein undemokratischer Charakter. Die Einparteienherrschaft schnürte Freiheit und Meinungsstreit ein. Andersdenkende wurden unterdrückt und ausgegrenzt. Die Folgen waren geistige Enge, blockierte Kreativität, wirtschaftliche Ineffizienz, ökologische Rückständigkeit und zunehmende politische Konflikte, die schließlich im Jahre 1989 zum Zusammenbruch des staatssozialistischen Systems der DDR führten.
Der Neuanfang für das Land Brandenburg
In der friedlichen Revolution von 1989/1990 machten die Bürgerinnen und Bürger Brandenburgs vielfältige Erfahrungen einer unmittelbaren demokratischen Teilhabe, die auch in der Landesverfassung von 1992 ihren Niederschlag finden sollten. Am 3. Oktober 1990 wurde das Land Brandenburg wiederbegründet und trat - zusammen mit den anderen neugebildeten Ländern im Osten - der Bundesrepublik Deutschland bei.
Das historische Erbe kritisch und selbstbewusst reflektieren
Die historischen Entwicklungen im Land Brandenburg werden von den Bürgerinnen und Bürgern in Abhängigkeit von den jeweiligen persönlichen Prägungen und Erfahrungen heutzutage sicher ganz unterschiedlich bewertet und gewichtet. In ihrer Gesamtheit prägen sie jedoch die Identität der Menschen in diesem Land. Unser Leitbild für ein zukunftsfähiges und solidarisches Brandenburg knüpft an dieses Erbe an. Nicht unkritisch, aber auch nicht ohne Stolz.